Konjunktur in der Overtime

In der Weltkonjunktur ist es fast so wie bei unserer Nati an der Hockey-WM: Solange die Spieler aus der amerikanischen NHL gut spielen, kann eigentlich nicht viel passieren. Das war in den letzten Jahren tatsächlich der Fall. China, Grossbritannien und Deutschland sind in die Rezession gerutscht, der Rest Europas schwächelt, aber die USA haben die Weltwirtschaft am Laufen gehalten.

Die Stimmung in den USA verschlechtert sich, dennoch ist für Panikmache kein Platz.

Mehr schlecht als recht konnte so eine Weltrezession verhindert werden. Wenn man so will, sind wir im dritten Jahr nach Corona in die Verlängerung des laufenden Zyklus eingetreten. Im Hockey würde dies Sudden Death Overtime genannt werden. Gemeint ist, dass das nächste Goal entscheidet. In der Ökonomie ist es aktuell so ähnlich: Noch ein grosses Land in der Rezession würde wohl die Balance kippen und wir müssten von einer Weltrezession reden.

Noch ist es aber nicht so weit. Schon lange gibt es Anzeichen, dass der amerikanischen Wirtschaft eine negative Entwicklung im Volkseinkommen drohen könnte. Die letzten Nachrichten aus Amerika waren tatsächlich mehrheitlich schwere Kost. So hat sich das Wachstum im ersten Quartal halbiert, am Arbeitsmarkt sind deutlich weniger neue Stellen geschaffen worden, dafür haben sich aber mehr Menschen zum Bezug von Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung angemeldet. Zu allem Überfluss ist auch die Stimmung in der Industrie und jüngst auch bei den Dienstleistungsunternehmen negativ geworden. Und schlussendlich ist auch die Konsumentenstimmung im letzten Monat überraschend deutlich gefallen.

An den Finanzmärkten wurde dies alles aber sogar mit Erleichterung aufgenommen. Die Logik war: Weniger Wachstum gleich weniger Inflation, gleich tiefere Zinsen. Das ist prinzipiell auch nicht falsch. Die Frage ist nur, ob weniger Wachstum nicht auch geradewegs in eine Rezession und damit zu tieferen Unternehmensgewinnen führen wird.

Wie im Sport gilt aber auch in der Ökonomie: Totgesagte leben länger. Tatsächlich liegt das Wachstum von 1,6 Prozent im ersten Quartal in etwa auf Potenzialwachstum – also dem Niveau, das die US-Wirtschaft leisten kann, ohne höhere Inflation zu produzieren. Eine ruhigere Gangart am Arbeitsmarkt beruhigt zudem die immer noch hohe Lohninflation. Schlechtere Stimmung ist unangenehm, hat aber noch nichts mit realen Umsatz- und Gewinnzahlen oder aber dem Ausgabeverhalten der Konsument:innen zu tun.

Auch wenn wir seit einiger Zeit darauf hinweisen, dass eine US-Rezession ein durchaus mögliches Szenario sei, lässt sich dies aber eben nicht mit absoluter Bestimmtheit prognostizieren. Angesichts dieser Ausgangslage bleiben wir weiterhin eher zurückhaltend, wenn es um das Eingehen von Finanzmarktrisiken geht.

Nach dem wiederum sehr guten Start der Börsen in das neue Jahr fühlen wir uns durch die Volatilität der Börse seit Ende März in unserer Haltung bestätigt. Tatsächlich haben die Bewertungen insbesondere der US-Börse Höhen erreicht, die dafür sprechen, dass die Aktienrenditen der kommenden Jahre eher niedriger sein werden.

Und die Schweiz? Die Schweizer Börse hat bisher in diesem Jahr stark von der Abwertung des Frankens profitiert. Mit den gestiegenen Kursen für Dollar und Euro haben sich eben auch die Umsätze und Gewinne unserer grossen Unternehmen erhöht.  Ohne diese Entwicklung wäre der Kursverlauf des Schweizer Aktienindex wohl weniger erfreulich gewesen.

Die Risiken sind also immer noch erhöht. Für Panikmache ist aber nach unserer Einschätzung bis heute dennoch kein Platz. Hoffen wir also, dass die US-Konjunktur so robust bleibt, wie die Spieler aus der NHL in unserer Hockey-Nationalmannschaft.

Über Philipp Merkt

Philipp Merkt arbeitet seit 2015 bei PostFinance – aktuell als Chief Investment Officer und Leiter Asset Management Solutions. Der gebürtige Solothurner hat an der Universität Fribourg Informatik und Wirtschaft studiert und hat einen MBA mit Schwerpunkt Finance der Universität Bern sowie der Simon Business School der University of Rochester NY.

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